Juden, Christen und Muslime im Gespräch über die gemeinsame Tradition des Mose und ihre heutige Bedeutung.

Interreligiöse Begegnung am Donnerstag, 29. November, 18.30 Uhr, Offene Kirche St. Simeonis

Bericht von Andreas Brügmann

Wie in den vergangenen beiden Jahren trafen sich auch in diesem Jahr Menschen aus der Jüdischen Kultusgemeinde Minden, dem Evangelischen Kirchenkreis, der Katholischen Domgemeinde und der Türkisch-Islamischen Gemeinde zu Minden zu einem interreligiösen Gespräch. Das öffentliche Forum tagte am 29. November in der Offenen Kirche St. Simeonis. Eingeladen hatte die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Minden, in Kooperation mit der Dialog-AG Minden (AG Kirche und Moschee) und der Türkisch-Islamischen Gemeinde zu Minden e.V.

Harald Scheurenberg, langjähriger ehemaliger Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde, Cuma Yücel vom Vorstand der Türkisch-Islamischen Gemeinde Minden, und Pfarrer Clemens Becht von der Ev.-Luth. St.-Marien-Kirchengemeinde (Bezirk Lukaskirche) saßen als Vertreter der drei sogenannten „abrahamitischen Religionen“ am Tisch; moderiert wurde von Pfr. Andreas Brügmann.

Nach den beiden („einfacher“ zu behandelnden) Themen „Licht – verbindendes Symbol der Religionen“ im vorletzten und „Engel – Boten Gottes“ im letzten Jahr ging es diesmal um eine prophetische Gestalt, die in allen drei Religionen eine wichtige Stellung hat – deren Name verbindet, wenn er auch in den jeweiligen Offenbarungssprachen seine Nuancen hat: „Moses“ (so in der griechisch-lateinischen christlichen Tradition), „Moshe“ (hebräisch-jüdische Tradition), „Musa“ (arabisch-islamische Tradition).

Wenige Tage vor dem Beginn des Advents, jener Zeit die in der christlichen Tradition auf das große Fest von der Geburt Jesu Christi hinblickt, ging es an diesem Abend um die andere – viel frühere – Geschichte von der wunderbaren Geburt einer großen Glaubensgestalt: Die Geschichte von der wunderbaren Errettung des frischgeborenen Mosesknäbleins im Bastkörbchen, das auf dem Nilfluss schwimmt, findet sich nicht nur in der jüdisch-christlichen Bibel, sondern ebenso – behandelt in mehreren Suren – im Koran.

Auch die weitere Geschichte von Jugend und Wirken als Erwachsener ist in der Überlieferung der drei Weltreligionen erstaunlich übereinstimmend, von zweitrangigen Nuancierungen abgesehen.

In allen drei religiösen Traditionen ist Moses der vom Einen Gott berufene Prophet, Führer und Gesetzgeber des Volkes Israel, der es aus der Knechtschaft des Pharao durch Gottes Hilfe befreit und ihm in der Gottesoffenbarung in der Wüste die göttlichen Gebote – mit den Zehn Geboten als Zentrum – überbringt. Und in allen drei Traditionen muss Mose immer wieder ringen – ringen mit den äußerlich so mächtigen Ägyptern, mit den Zweiflern und Verführten in seinem eigenen Volk, und mit sich selbst.

Gerade Letzteres ist wichtig, wie sowohl Harald Scheurenberg wie auch Cuma Yücel betonten: Die Propheten sind und bleiben Menschen, von Gott geschaffen aus Blut und Fleisch wie alle anderen Geschöpfe. Darum ist es auch nicht korrekt zu sagen, „an die Propheten (bzw. an Moses) zu glauben“, sondern genauer muss es heißen: „an die göttliche Sendung der Propheten (bzw. des Moses) zu glauben“. „Glauben“ kann und darf der Mensch nur an Gott selbst – auch in diesem Bekenntnis waren sich Cuma Yücel und Harald Scheurenberg einig. Dies sagen Christen ebenfalls – und doch verfahren sie in einem fundamentalen Punkt anders als Juden und Muslime, bekennen gemäß der neutestamentlichen Tradition den „Glauben an Jesus Christus“: Juden und Muslime stehen in dieser Frage also auf derselben Seite, im Gegenüber zum (den monotheistischen Gottesbegriff nach eigenem Verständnis differenzierenden, nach jüdischem und muslimischem Verständnis auflösenden) Christentum.

Wie die drei Religionsvertreter deutlich machten, gibt es „funktionale Akzentuierungen“ der Gestalt des Moses, die sich aus dem Gesamtverständnis der – historisch aufeinanderfolgenden und teils auseinander hervorgegangenen – Religionen ergeben:

Für das Judentum ist Mose DER entscheidende Prophet, der Befreier, Führer, Gesetzgeber und Weisheitslehrer des jüdischen Volkes – eine Bedeutung, die auch durch die Erfahrung des Holokaust nicht in Frage gestellt, sondern eher noch bestätigt worden ist.

Im Christentum wird Mose typologisch zum Vorläufer Jesu Christi gemacht, bleibt aber – ungeachtet aller Abwertung des „alten Gottesvolkes“ und sonstigen antijudaistischen Polemiken und Gewalttätigkeiten – auch das ganze christliche Mittelalter hindurch als von Gott gesandte prophetische Gestalt unangetastet. Clemens Becht betonte die zentrale Stellung der Thora in der Verkündigung des Juden Jesus und forderte die heutige christliche Theologie dazu auf, den positiven Zusammenhang von Jesusbotschaft und Thora neu zu entdecken.

Im Islam schließlich wird Moses zum Urbild einer ganzen Kette monotheistischer Propheten, an deren Ende und als deren Erfüllung der islamische Prophet Muhammad steht. Der von Mose verkündete Glaube ist und bleibt Maßstab für den Islam: „Ich glaube, dass es keinen anderen Gott gibt als den, an den das Volk Israel glaubt, und ich bin einer der Gottergebenen (arab. Muslimun)“, bekennt der Pharao in dem Augenblick, als die Meeresfluten über der ägyptischen Streitmacht zusammenschlagen (Sure 10, 90).

Erstaunlicherweise hat die Gestalt des Moses (Moshe / Musa) im interreligiösen Dialog bisher nur wenig Beachtung gefunden, im Gegensatz zu Abraham (Ibrahim). Dabei ist sie besonders geeignet, das Verbindende in den monotheistischen Weltreligionen angesichts der Herausforderungen der Gegenwart deutlich zu machen – ungeachtet unterschiedlicher Interpretationen und Akzentuierungen in den jeweiligen Traditionen. Dies betonten die drei Referenten noch einmal jeder für sich in der Abschlussrunde ihres Gesprächs, bevor sie sich den anschließenden Fragen aus dem Publikum stellten.

Gerade in der heutigen Weltlage mahnt die Gestalt des Mose, das ethisch Einende der Menschen (s. Dekalog) zu suchen anstatt religiöse Traditionen gegeneinander auszuspielen. Mit den Worten Harald Scheurenbergs: „Zwischen Abraham, Mose, Jesus und Muhammad darf kein künstlicher Graben ausgehoben werden“. Die um den Tisch versammelten Vertreter haben an diesem Abend ihren Teil dazu beigetragen, dass über alte Gräben neue Brücken gebaut werden.

Mose mit dem Stab vor dem Pharao (persische Handschrift aus Afghanistan, 15. Jh.,    

Nationalmuseum Kraukau. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Moses_im_Islam)